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Nahe-Zeitung, Mittwoch, 30. Oktober 2019

Ein ein­zig­ar­ti­ger Stein, den nie­mand kennt

Egon Keßler holte für uns den vor mehr als 50 Jahren im 16-Eck-Schliff bearbeiteten Stein aus der Schublade. Er glaubt, dass dies vorher und nachher keinem anderen gelungen ist.

Schlei­fer­meis­ter Egon Keß­ler aus Lei­sel schuf um 1965 ein wah­res Meis­ter­stück
Die Hand­ar­beit be­herr­schen heu­te nur noch ganz we­ni­ge Lei­sel. Im Schreib­tisch ei­nes Hau­ses „Am Ker­ben­flur“ in Lei­sel liegt ein ganz be­son­de­rer Stein. Sein Wert hält sich in Gren­zen, weil es sich um ei­ne Aqua­mar­in­syn­the­se han­delt. Aber dar­auf kommt es nicht an. Mög­li­cher­wei­se ein­zig­ar­tig macht ihn aber der Schliff. Der stammt von Egon Keß­ler, der 1965 die Meis­ter­prü­fung ge­mein­sam mit Bernd Cull­mann ab­ge­legt hat. Des­sen neue Schleif­ma­schi­ne Ar­tio-Klick (wir be­rich­te­ten) hat die Er­in­ne­rung an sei­ne her­aus­ra­gen­de Schleif­leis­tung vor mehr als 50 Jah­ren wie­der­be­lebt.

Mit blo­ßem Au­ge nicht mehr zu se­hen
Der 79-Jäh­ri­ge hat als Hand­wer­ker größ­ten Re­spekt vor der Kon­struk­ti­on der Ma­schi­ne. Aber er trau­ert dem Schlei­fen von Hand nach, das aus sei­ner Sicht „lei­der im­mer mehr in Ver­ges­sen­heit ge­rät. Das be­herr­schen heu­te nur noch ganz we­ni­ge. Die Jun­gen ler­nen nur noch an Ma­schi­nen“, weiß der La­pi­där, der als Meis­ter­stück einst ei­nen Stein im Schach­brett­mus­ter schlei­fen muss­te. Kein Klacks, aber kein Ver­gleich mit sei­nem wah­ren Meis­ter­stück, für das er auch deut­lich mehr Zeit auf­wand­te, oh­ne dass er die Zahl der Stun­den heu­te noch ge­nau be­zif­fern kann. Er hat­te sich da­mals nichts we­ni­ger vor­ge­nom­men, als ei­nen syn­the­ti­schen Stein mit 16 Ecken und 416 Fa­cet­ten zu schlei­fen. „Ich glau­be nicht, dass das vor und nach mir noch ein­mal je­man­dem ge­lun­gen ist. Aber ich weiß es na­tür­lich nicht ge­nau.“ Als er Fach­leh­rer Erich Ham­scher aus Idar da­von er­zähl­te, wink­te der ab: „Das funk­tio­niert nicht.“ Ein Satz, „der mei­nen Ehr­geiz erst recht an­ge­sta­chelt hat“, er­in­nert sich Egon Keß­ler. Ganz lang­sam tas­te­te Keß­ler sich an die gro­ße Auf­ga­be her­an, üb­te die Tech­nik wie­der und wie­der, bis er sich da­für reif fühl­te. „Das ist ähn­lich wie beim Sport: Man muss viel trai­nie­ren, um Höchst­leis­tun­gen zu brin­gen.“ Zu den be­son­de­ren Her­aus­for­de­run­gen ge­hör­te, dass die Fa­cet­ten nach oben im­mer klei­ner wer­den – so klein, dass man sie mit blo­ßem Au­ge gar nicht mehr sieht. „Das geht schon ein biss­chen in Rich­tung Kunst“, sagt Egon Keß­ler nicht oh­ne Stolz. Noch beim Po­lie­ren zit­ter­te er, dass al­les glatt­geht. Doch dann war das Werk voll­bracht. Ei­gent­lich woll­te Egon Keß­ler Elek­tro­tech­ni­ker wer­den. Doch wie das da­mals so war: Nach­dem Groß­va­ter und Va­ter Achat­schlei­fer wa­ren, fand sich der Jun­ge ei­nes Ta­ges in Lei­sel an der Schleif­bank bei Wal­ter Schwinn wie­der. Er lern­te schnell und wech­sel­te spä­ter in die Fir­ma sei­nes Cou­sins Her­bert Keß­ler in Idar, wo er dann auch den 16-Eck-Schliff voll­ende­te.

Die Bran­che ge­wech­selt
Fast schon ku­ri­os ist, dass er ihn da­mals nach der Fer­tig­stel­lung nie­man­dem zeig­te. Ihm blieb oh­ne­hin nicht viel Zeit, den Tri­umph aus­zu­kos­ten. Denn kurz dar­auf ge­riet die gan­ze Bran­che in ei­ne schwe­re Kri­se. Da half ihm auch all sein Kön­nen nicht. Und so wech­sel­te der Schlei­fer­meis­ter schließ­lich als selbst­stän­di­ger Han­dels­ver­tre­ter ins Ver­si­che­rungs­fach, dem er bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung treu blieb. Be­reut hat er das nie: „Statt mit Stei­nen ha­be ich mich fort­an mit Men­schen be­schäf­tigt. Da­bei ha­be ich viel ge­lernt“, sagt er. Ge­schlif­fen hat er seit­dem üb­ri­gens nie mehr, ob­wohl er das Equip­ment da­für bis heu­te im Haus hat: „Ich hat­te so viel zu tun, dass ich ein­fach nicht mehr da­zu ge­kom­men bin.“ Der Stein – und mit ihm vie­le an­de­re, die er da­mals ge­schlif­fen hat – ver­schwand in der Schub­la­de. Dort be­wahrt ihn Keß­ler bis heu­te in ei­nem klei­nen Schmuck­käst­chen auf.

von Kurt Knaudt, Nahe-Zeitung, Mittwoch, 30. Oktober 2019