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Nahe Zeitung vom Mittwoch, 13. Juni 2012

Der Dialog ging über zwölf Runden
Nationalpark Experten stellten sich beim ersten Forum in Leisel den Fragen der Bürger.

Nur schwer kam am Montagabend in Leisel der erste Bürgerdialog zu einem Nationalpark im Hochwald ins Laufen. Knapp 100 Interessierte, überwiegend aus der Gastgebergemeinde sowie der Siesbacher Nachbarschaft, füllten die Vereinshalle, wo Claudia Jörg vom Verein „Engagierte Bürger“ in Simmern zunächst die zwölf Schwerpunktthemen, die jeweiligen Antwortgeber sowie das Prozedere dieses „Dialogs, bei dem jeder fragen und sagen darf, was er will“, vorstellte.

Die ersten 30 gingen nach gut einer halben Stunde, als Besucher aufgefordert wurden, der Markierung an ihrem Stuhl folgend, zur ersten Gesprächsrunde anzutreten. Über Kindergartenkram, Bevormundung und Mundtotmachen schimpften einige Nationalparkkritiker vor der Tür. Drinnen näherten sich Besitzer der Platzkartennummer 1 der Gesprächsrunde „Naturschutz“, wo die Experten Michael Altmoos und Hans-Joachim Werner an Stehtisch und Pinnwand warteten. Nach jeweils zehn Minuten wechselten die Runden. So hatte jeder Gelegenheit, im relativ kleinen Kreis und zu sämtlichen Themen zu Wort zu kommen. Rechtliche Aspekte eines Nationalparks, Holz, Jagd und Windkraft, die Auswirkungen auf Regionalentwicklung, Tourismus und Bildung sowie Entscheidungsebenen, Öffentlichkeitsarbeit, Bürgerbeteiligung und Rolle der Gemeinden wurden abgehandelt und als Stichwortzettel an die Pinnwand geheftet.

Nach mehr als zwei Stunden – ein weiteres Drittel der Besucher hatte man inzwischen an die Fußball-EM verloren – die Schlussrunde mit der Vorstellung von Gesprächsergebnissen. Offen blieb nicht nur die Frage, wer letztlich wann und wo über den Nationalpark entscheidet. Auch die als Fortsetzung des Dialogs angekündigten Arbeitskreise bleiben weiterhin von Zukunftsnebeln umhüllt.
Plattitüden von der pädagogischen Front: Bildung ist eines der großen Ziele. Und: Bildung rechnet sich immer. Alte Erkenntnisse aus der Touristik: Für 80 Prozent der Urlauber ist Naturerlebnis ein starkes Reisemotiv, wusste Achim Schlömer. Von heute auf morgen sei keine herausragende Gastronomie zu erwarten, wusste er vom Rheinsteig. Infrastruktur müsse sich halt entwickeln – mit Unterstützung von vielen Seiten.

Mehr als erwartet spielte das Thema Windkraft beim Dialog in Leisel eine Rolle. Dass die naturbelassene Nationalparkfläche Borkenkäfern, aber auch anderen vierbeinigen Schädlingen des Waldes als Rückzugsgebiet diene, machte dem Jagdexperten kaum Angst: Es werde ein Wildtiermanagement geben. Das Thema Holzwirtschaft spielte fast schon eine Nebenrolle: Sägewerke müsse man unter Umständen aus anderen Regionen bedienen, sagte Dr. Harald Egidi aus dem Umweltministerium. Private Brennholzversorgung sei im Dialog mit den Kommunen zu klären.


Im kleinen Kreis fragt's sich besser
Nationalpark - Am Ende gab es sogar Lob für das Dialogkonzept der „Engagierten Bürger“

Leisel. Kontroverser als über den Inhalt wurde in Leisel bei der ersten der Bürgerversammlungen zum Thema Nationalpark in den Gemeinden des Hochwalds zeitweise über die Form des Dialogs diskutiert. Das vom Verein „Engagierte Bürger“ aus Simmern praktizierte Konzept einer radikalen Bürgerbeteiligung war wohl für das Gros der knapp 100 Besucher in der Leiseler Vereinshalle zu ungewohnt. Kleine Besuchergrüppchen von bis zu zehn Personen wurden abwechselnd zu jeweils zehnminütigen Gesprächsrunden mit den Experten gebeten. Dem Glockenschlag folgt ein „Bäumchen-Wechsel-Dich“ zum nächsten Thema am nächsten Tisch. Das Fragen im kleinen Kreis fällt vielen leichter, erklärt Moderatorin Claudia Jörg die Entscheidung für das etwas „überzwerch“ wirkende Verfahren mit nummerierten Sitzplätzen und verschiedenfarbigen Zetteln. Gängige Frontalinformation aber berge die Gefahr, dass droben auf dem Podium Schaufensterreden gehalten werden, drunten im Publikum so mancher gute Gedanke nicht ausgesprochen wird.

„Kinderei“ ist dieses völlig ungewohnte Prozedere für einige, die andere im Saal der Fraktion der Nationalparkgegner zuordnen würden. Es bleiben Vermutungen, denn eindeutige Statements unterbleiben an diesem Abend: Grollend nutzen aber gut zwei Dutzend Besucher die Aufforderung, sich zur nächsten Gesprächsrunde nach hinten zu begeben, um rechts rum dem Ausgang anzusteuern. „Sie schimpfen immer noch“, hört man noch Minuten später von jenen, die von der Zigarettenpause vor der Tür zurückkehren. Zögernd setzen sich die Zurückgebliebenen in Bewegung, mustern zunächst aus weiter Entfernung die Experten, die aus allen Ecken des Landes zu der Veranstaltung in Leisel kamen, versuchen einen Blick auf die noch wenigen Stichwortkarten an der Pinnwand zu werfen. Jene mit den „harten Fragen“ und Gegenargumenten nutzen derweil die Gunst der Stunde, zumindest an jenen Tischen, die nicht von ungefähr an der Spitze der Themenliste stehen, geht's schnell zur Sache.

Geruhsam geradezu wird weiter hinten über „Bildungsfragen“ philosophiert und das eine oder andere (hinlänglich bekannte) Fremdenverkehrsproblem erörtert. Am Ende der Schlange – und gleich drei Themenkreise auf seinem Pinnboard vereinend: Bürgermeister Dr. Bernhard Alscher. Er hat sich spontan für Fragen zu Entscheidungsebenen und zu der Rolle der Gemeinden zur Verfügung gestellt. „Das ist wie vor 30 Jahren an der Uni“, kann er seinen Faible für basisdemokratische Prozesse nicht verhehlen. Und räumt dennoch ein: „Es ist fast schon ein wenig zu viel des Guten.“ Landrat Dr. Matthias Schneider bereitet offensichtlich die kontinuierlich sinkende Besucherzahl Sorgen. Schon fragt er sich, ob die gewählte Form von Dialog die richtige sei, sieht bereits Kind und Brunnen vor sich. Doch so schlimm kommt es nicht. Im Gegenteil: Dass etliche Bürger mehr als drei Stunden aushalten, bis dieser „Leiseler Dialog“ mit einer Zusammenfassung der diversen Gesprächsrunden endet, spricht für sich. Von etlichen erhält die Form der Bürgerbeteiligung sogar ausdrückliches Lob.

Nahe Zeitung vom Mittwoch, 13. Juni 2012, von Klaus-Peter Müller NZ